Wasserstoff, eine Lösung zur Beschleunigung der Dekarbonisierung des Güterverkehrs
22/03/2024 • 5min
Der Straßengüterverkehr ist für ein Viertel aller mobilitätsbedingten CO2-Emissionen verantwortlich. Angesichts dieser Herausforderung haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Vorschriften zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen für neu auf den Markt kommende schwere Nutzfahrzeuge verschärft. Das Ziel? Eine Senkung um 45 % bis 2030 und eine Senkung um 90 % bis 2040 (im Vergleich zu den Werten von 2019). Um diese sehr ehrgeizigen Ziele zu erreichen, muss Wasserstoff ein unverzichtbarer Bestandteil des Energiemixes werden. Thierry Carbonnel, Marketingdirektor Schwerlastmobilität bei Air Liquide, erläutert die wichtigsten Herausforderungen der Branche.
Welche Rolle spielt Wasserstoff derzeit für den Straßentransport?
Man könnte meinen, die Ära des wasserstoffbetriebenen Straßentransports stecke noch in den Kinderschuhen, aber das stimmt nicht ganz! In China fahren bereits mehrere Tausend wasserstoffbetriebene Lkw und Busse auf den Straßen. In Europa begann das Wachstum der Wasserstoffmobilität mit intensiv genutzten professionellen Pkw-Flotten. Das Beispiel, das einem sofort in den Sinn kommt, sind die Taxis von HysetCo in Paris. Sie haben die Zuverlässigkeit von Wasserstofffahrzeugen unter Beweis gestellt und gleichzeitig die Vorteile des Wasserstoffs bekannt gemacht. Auf der Straße bedeutet Wasserstoff weniger Lärm, einen echten Fahrkomfort und Wasserdampf als einzige Abgasemission.
Die führenden Lkw-Hersteller der Welt sind sich der bevorstehenden Fristen bewusst. Sie alle haben mindestens ein abgeschlossenes oder laufendes Wasserstoff-Lkw-Projekt. Es gibt sie in verschiedenen Formen: Prototypen, Vorserienfahrzeuge oder sogar finale Serienfahrzeuge! Daimler Truck beispielsweise testet zwei mit Brennstoffzellen ausgestattete Prototypen, von denen einer mit gasförmigem und der andere mit flüssigem Wasserstoff betrieben wird. IVECO wird seine ersten Serienfahrzeuge im Rahmen des HyAMMED-Projekts im Jahr 2024 ausliefern. Auch Hyundai, ein neuer Akteur in diesem Sektor, hat seine ersten Wasserstoff-Lkw in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten in Betrieb genommen.
Welche verschiedenen Technologien werden bei wasserstoffbetriebenen Lkw eingesetzt?
Bei den Antriebssträngen gibt es zwei sich ergänzende Optionen. Mehrere Hersteller erforschen sie gleichzeitig, um die Übergangszeit zu begleiten. Bei der ersten Option handelt es sich, vereinfacht gesagt, um Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge (Fuel Cell Electric Vehicles - FCEV), die den an Bord gespeicherten Wasserstoff in Strom umwandeln und dann wie Elektrofahrzeuge funktionieren. Die derzeit in der Entwicklung befindlichen Fahrzeuge profitieren direkt von allen Fortschritten in der Brennstoffzellen-Technologie (insbesondere Kostensenkung und Energieeffizienz).
Die andere Möglichkeit ist der Verbrennungsmotor (Internal Combustion Engine - ICE). Hier wird Wasserstoffgas eingespritzt, um Diesel zu ersetzen. Dies wird als "Nachrüstung" bezeichnet. Diese hat nur begrenzte Auswirkungen auf die Fahrzeugkonstruktion und -wartung, da es Dieselmotoren seit über 130 Jahren gibt und die Technologie insofern von Herstellern, Werkstätten und Lkw-Fahrern bereits erprobt ist. Verbrennungsmotoren erzeugen zwar Feinstaub und NOx, wenn auch in viel geringeren Mengen als Dieselmotoren, aber es gibt ausgereifte Technologien, um diese Abgase aufzufangen.
Unterm Strich haben sich die Lkw-Hersteller innerhalb weniger Jahre in bemerkenswerter Weise darauf eingestellt, auf den Klimanotstand und die neuen Vorschriften zu reagieren. Wenn man den klassischen Produktentwicklungszyklus von Lkw betrachtet, ist das schon erstaunlich.
Was sind die wesentlichen Vorteile von Wasserstoff aus der Sicht eines Verkehrsunternehmens?
Für die Verkehrsunternehmen ergeben sich drei offensichtliche Vorteile. Und diese sind insofern besonders wichtig, als sie sich auf den Arbeitsrhythmus der Fahrer und damit auf den reibungslosen Ablauf des Betriebs auswirken. Erstens: die Betankungszeit. Wasserstoff ermöglicht eine Betankung in 15 bis 20 Minuten. Das entspricht in etwa der Zeit, die für das Tanken von Diesel benötigt wird, und hat somit kaum Auswirkungen auf die Logistik oder die Einsatzplanung. Und dann ist da noch die Reichweite. Mit einer Tankfüllung können 800 bis 900 km zurückgelegt werden. Mit flüssigem Wasserstoff kann diese Reichweite auf 1.000 km erhöht werden, wie Daimler Truck 2023 demonstriert hat. Für den Fahrer ist das ein beruhigendes Gefühl! Und schließlich ist da noch die Nutzlast, die durch die Wasserstofftechnologie nicht beeinträchtigt wird, da 70 bis 80 kg Wasserstoff an Bord ausreichen, ohne dass Batterien benötigt werden, was das Volumen und das Gewicht der Lkw verringert. Alles in allem eignet sich Wasserstoff besonders gut für den Langstreckenverkehr, da er Flexibilität und Produktivität bietet. Er ist eine gute Ergänzung zu batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen, die für geplante Kurzstrecken geeignet sind.
Bleibt die Frage nach den Kosten des Übergangs zu Wasserstoff…
Natürlich sind sich alle den Kosten der Wasserstoffmobilität bewusst, vom Preis der Fahrzeuge bis hin zum Preis des Wasserstoffs an der Tankstelle. Ein Modell, das von mehreren großen europäischen Automobilherstellern geteilt wird, prognostiziert die Preisparität zwischen Wasserstoff und Diesel bis 2030. Zu den Faktoren, die Wasserstoff begünstigen, gehören ein allmählicher Rückgang des Kilopreises des Moleküls, niedrigere Herstellungs- und Wartungskosten für die Lkw sowie steuerliche Anreize. Gleichzeitig werden die Steuern auf Diesel und die Eurovignette wahrscheinlich steigen. Die schrittweise Umstellung der Fuhrparks wird also von der Umsetzung geeigneter und, ich würde sagen, ehrgeiziger politischer Maßnahmen abhängen!
Was sind die Stärken von Air Liquide bei der Bewältigung der Herausforderung der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs?
Nun, diese Frage ist leicht zu beantworten! Wir decken die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette ab. Das Kerngeschäft von Air Liquide konzentriert sich auf die Produktion, Speicherung, Verpackung und den Vertrieb. An diesen Hebeln setzen wir also in erster Linie an. Was die Produktion angeht, so ist es kein Geheimnis, dass wir einen wachsenden Anteil an kohlenstoffarmem oder erneuerbarem Wasserstoff produzieren müssen. Andernfalls werden wir nicht in der Lage sein, die Herausforderung der Dekarbonisierung des Verkehrs zu meistern. Es wurden bereits große Investitionen getätigt, wie z. B. in unseren 200 MW-Elektrolyseur Normand'Hy, der 2026 in Betrieb genommen werden soll. Mit anderen Worten: 200 MW entsprechen 28.000 Tonnen Wasserstoff, die in einem Jahr produziert werden und von denen ein Teil in den Mobilitätssektor fließen wird. Darüber hinaus wird die Massenproduktion dazu beitragen, die Kosten für kohlenstoffarmen Wasserstoff schneller auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu senken. Aus diesem Grund arbeiten wir auch an einer Reihe von technologischen Bausteinen. Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit und niedrigere Gesamtbetriebskosten sind unsere Prioritäten.
Wie will Air Liquide die Akteure des Verkehrssektors bei der Umstellung auf Wasserstoff unterstützen?
Die Dekarbonisierung des Straßenverkehrs ist eine kollektive Aufgabe. In diesem Sinne haben wir eine Reihe von Partnerschaften und Projekten entwickelt, die es uns ermöglichen, die Herausforderungen aller wichtigen Akteure des Sektors besser zu verstehen und Lösungen anzubieten: Automobilhersteller, Equipment-Hersteller, Flottenbetreiber usw. Unsere Unterstützung konzentriert sich auf Technologien. So arbeiten wir zum Beispiel mit FORVIA (Faurecia) zusammen, um die Flüssigwasserstoff-Tanks von morgen zu entwickeln. Wir helfen unseren Kunden auch bei der Suche nach Subventionen, die sie für den Umstieg auf Wasserstoff benötigen. Finanzielle Unterstützung kann von verschiedenen Stellen gewährt werden: Europäische Union, Regierungen, Regionen usw. Kunden, die Wasserstoff bereits jetzt testen und die verfügbaren Technologien bewerten möchten, sollten wissen, dass dies möglich ist - und dass wir ihnen dabei helfen.
Im Januar 2024 haben Air Liquide und TotalEnergies ein 50/50-Joint Venture mit dem Namen TEAL Mobility gegründet. Worum geht es dabei?
TEAL Mobility beabsichtigt, die Entwicklung von Wasserstoff für Lastkraftwagen im Fernverkehr zu beschleunigen, indem in den nächsten 10 Jahren ein Netz von über 100 Wasserstofftankstellen in ganz Europa aufgebaut wird. Diese unter der Marke TotalEnergies betriebenen Tankstellen werden sich an den wichtigsten europäischen Fernstraßen befinden und zu dem kontinentweiten Netz für alternative Kraftstoffe (AFIR) beitragen, das in der vom Europäischen Rat im Jahr 2023 verabschiedeten AFIR-Verordnung gefordert wird. Ziel ist es, bis 2030 alle 200 km eine Wasserstofftankstelle zu errichten. TEAL Mobility unterstützt dieses Ziel und löst das Henne-Ei-Paradoxon, das besagt, was zuerst kommt: Lkw oder Infrastruktur. Um die Lkw-Hersteller davon zu überzeugen, schnell wasserstoffbetriebene Modelle auf den Markt zu bringen, und damit die Betreiber sie in ihre Flotten integrieren können, brauchen wir eine ausreichend große Zahl von Tankstellen mit geeigneten Kapazitäten (ab 1 Tonne pro Tag). Wie wir gesehen haben, ist dies nicht der einzige Faktor, aber er wird eine entscheidende Rolle bei der Umstellung auf Wasserstoff spielen.