Das wimmelnde Leben in einem Klärschlamm-Becken sieht das menschliche Auge erst durch ein Mikroskop: Ein ganzer Mikrokosmos von Bakterien, Pilzen und anderen winzigen Organismen wartet dort mit einem Riesenhunger auf die organischen Reste, die menschliche Verdauungssysteme oder industrielle Prozesse übriggelassen haben und die am Ende in einem Klärwerk landen. Diese Winzlinge „verbrennen“ ähnlich wie Tiere ihr Futter in einem biochemischen Prozess und gewinnen so ihre Lebensenergie. Und genau wie Fische holen sich auch die Mikroorganismen den für diesen Vorgang benötigten Sauerstoff aus dem Wasser.
Da viele dieser Bakterien ziemlich gierig sind und gerne auf Hochtouren laufen, verbrauchen sie reichlich Sauerstoff – und der droht knapp zu werden. Um das zu verhindern und die Mikroorganismen zu unterstützen, drücken Klärwerke der Kommunen oder Industrieanlagen gerne Luft beziehungsweise reinen Sauerstoff in den Klärschlamm. Diesen Prozess wiederum optimiert zurzeit CLEWATEC, das als „Helmholtz Innovation Lab“ am HZDR durch die Helmholtz-Gemeinschaft gefördert wird, gemeinsam mit seinem Partner Air Liquide, einem der führenden Hersteller technischer Gase.
Energie-Schluckspecht Klärwerk
Air Liquide will seinen Kunden nicht nur Sauerstoff, Kohlenstoffdioxid, Stickstoff, Wasserstoff und andere Gase anbieten, sondern auch Problemlösungen,
erläutert Markus Meier, der als leitender Forschungsingenieur bei Air Liquide in Frankfurt am Main für Prozesse wie das Einleiten von Gas in Flüssigkeiten und damit auch ins Abwasser zuständig ist. Derzeit aber brennt den Klärwerken wie auch vielen anderen Branchen ein Problem auf den Nägeln: In Zeiten des Klimawandels sollten sie ihren Energieverbrauch rasch und stark senken. Benötigen doch allein die Klärwerke der deutschen Kommunen zusammen ungefähr so viel Energie, wie sie ein großes Steinkohlekraftwerk liefert.
Dazu kommen noch die Anlagen von mittelständischen und großen Unternehmen. Dort schluckt, genau wie in den Klärwerken der Städte und Gemeinden, die Luft- und Sauerstoff-Versorgung der hungrigen Bakterien in den Belebtschlamm-Becken die meiste Energie. Würde der Sauerstoff besser an die Bakterien verteilt, könnte ein Teil davon eingespart werden. So erhalten die Mikroorganismen derzeit an einigen Stellen gar nicht genug Sauerstoff, um auf Hochtouren die im Abwasser gelösten Bioabfälle zu verdauen. Gleichzeitig gelangt, abhängig von der Blasengröße, nur ein Teil des am Boden der Becken eingebrachten Sauerstoffs überhaupt in den Schlamm, während der Rest nutzlos verpufft. Energiesparmöglichkeiten gibt es also durchaus.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, brauchen wir die hochmodernen Versuchsanlagen des Instituts für Fluiddynamik am HZDR und deren große Erfahrung zum Beispiel in der Simulation von Strömungen,
betont Markus Meier. Erst mit der gebündelten Forschungskapazität des HZDR kann das CLEWATEC-Team um Sebastian Reinecke Konzepte entwickeln, um den Sauerstoff-Hunger der Mikroorganismen im Klärschlamm möglichst gut zu stillen.
Fleißige Bakterien
Dort wartet eine ganze Familie von Bakterien auf ihr Grundnahrungsmittel, das aus biologischen Kohlenstoff- und Stickstoff-Verbindungen besteht. Diese wiederum stecken in großen Mengen sowohl in industriellen Abwässern wie auch in den Exkrementen, die beim Menschen aus Ballaststoffen, unverdauten Resten von Speisen und deren Bestandteilen, abgestoßenen Zellen des Darms und vielen Mikroorganismen der Darmflora besteht. Diese Mischung ist mit großen Mengen weiterer Abwässer aus Waschbecken, Duschen, Waschmaschinen und sonstigen Quellen kräftig verdünnt. Daraus werden in der Kläranlage zunächst feste Bestandteile wie mitgerissener Sand und Stücke von Hygieneartikeln entfernt.
Der Rest landet in der biologischen Stufe der Kläranlage, deren Herzstück oft das Belebtschlamm-Becken ist. Dort stürzen sich die in Flocken aneinanderhängenden Mikroorganismen gierig auf die Biomoleküle im Abwasser, verbrennen diese und gewinnen so ihre Lebensenergie.
Eine zentrale Rolle spielen dabei kugelige Bakterien, die eifrig hin- und herflitzen und emsig fressen,
erklärt HZDR-Forscher Sebastian Reinecke. Dabei zerlegen sie die im Abwasser schwimmenden Kohlenstoff-Ketten in ihre Einzelteile und verbrennen die darin steckenden Kohlenstoff-Atome zu Kohlenstoffdioxid, das am Ende aus dem Klärschlamm in die Luft gelangt. Andere Mikroorganismen verputzen die zum Beispiel aus den Resten von Proteinen stammenden Amine und verbrennen sie zu Nitraten, die im Wasser gelöst bleiben. Würde man größere Mengen dieses Nitrats in Gewässer einleiten, droht Überdüngung. In modernen Anlagen wird das Nitrat daher von anderen Mikroorganismen, die ohne Sauerstoff auskommen, zu Stickstoff umgebaut. Dieser blubbert anschließend in die Luft, die ohnehin zu 78 Prozent aus diesem Gas besteht.
Belüftung
Die anderen Reaktionen benötigen reichlich Sauerstoff, der in der Luft allerdings nur rund 20 Prozent ausmacht und so relativ rasch knapp wird.
Gibt es zu wenig Sauerstoff, werden die quirligen runden von langgestreckten Bakterien abgelöst, die erheblich langsamer arbeiten,
meint Sebastian Reinecke. Diese Mikroorganismen aber bringen gleich zwei gravierende Nachteile: Zum einen bräuchten die Klärwerke für sie erheblich größere und damit auch teurere Belebtschlamm-Becken für die biologische Reinigung der gleichen Abwassermenge. Zum anderen sollen die Bakterien nach Erledigen ihres Jobs in einem zweiten Becken langsam als Schlamm zu Boden sinken, von dem ein Teil erneut Abwässer klären soll, während der Rest in Faultürmen zu Biogas und Kompost vergären kann. Anders als die kugeligen Bakterien schweben die langgestreckten Mikroorganismen gern als Schaum auf der Oberfläche und sinken daher nicht ab. Dieser Schaum würde mit dem eigentlich gereinigten Wasser an der Oberfläche abgeleitet und dann die Umwelt verunreinigen.
Die Klärwerksbetreiber haben also triftige Gründe, das Umstellen auf diese langgestreckten Bakterien zu verhindern und die kugelförmigen Mikroorganismen mit einer guten Sauerstoff-Zufuhr bei Laune zu halten. Also werden die Klärschlamm-Becken der Kommunen mit zusätzlicher Luft versorgt, während Industrie-Klärwerke oft sogar reinen Sauerstoff einleiten. Schließlich enthalten zum Beispiel die Abwässer aus der Lebensmittelindustrie überreichlich organische Verbindungen, und die Bakterien benötigen dort noch mehr Sauerstoff.
Schläuche und Gummi-Teller
In den Klärwerken der Kommunen arbeiten häufig große Kompressoren, die durch dicke Leitungen die Luft von unten an große Gummi-Scheiben am Boden der Belebtschlamm-Becken pressen. Der Überdruck wölbt diese Gummi-Teller zu kleinen Kuppeln auf. Dabei öffnen sich in jeder Gummi-Membran mehrere Tausend winzige Schlitze ein klein wenig, wodurch die Luftbläschen aufsteigen können.
Industrie-Klärwerke verlegen stattdessen oft Schläuche in großen Mäandern am Grund der Becken,
erläutert Markus Meier von Air Liquide. Durch winzige Schlitze, die nur wenige Tausendstel Millimeter breit sind, blubbert dann der mit einem Druck von rund zwei bar durch diese Schläuche strömende Sauerstoff in das Belebungsbecken. Daneben gibt es für das Zuführen von Gasen noch weitere Methoden wie zum Beispiel Systeme, die sehr viel Sauerstoff in den Belebtschlamm pressen, der anschließend mit hohem Druck wieder in das Belebungsbecken eingeschossen wird.
Die Physik der Bläschen
Alle diese Methoden haben derzeit eines gemeinsam: Die Bakterien können den mit einigem Energie-Aufwand zugeführten Sauerstoff oft nur zum Teil verwerten. Wie effektiv das funktioniert, hängt stark von der Größe der im Klärschlamm aufsteigenden Bläschen ab, die das Team in den CLEWATEC-Blasensäulen beobachten kann, deren Höhe den Dimensionen eines vier bis fünf Meter tiefen Belebtschlamm-Beckens entsprechen.
Optimal sind nach unseren bisherigen Untersuchungen Bläschen mit einem Durchmesser von einem knappen Millimeter,
nennt Sebastian Reinecke ein wichtiges Ergebnis,
kleinere Bläschen sind dagegen oft schon nach zwei Metern Aufstieg verbraucht und die Bakterien in den darüber liegenden Schichten gehen leer aus.
Aus den größeren und damit schneller aufsteigenden Bläschen wird dagegen nur ein geringer Teil des Sauerstoffs genutzt, bevor diese die Oberfläche erreichen und ihr Inhalt nutzlos in der Luft verpufft. Die knapp einen Millimeter großen Bläschen können bei ihrem Aufstieg dagegen 90 Prozent ihres Sauerstoffs an den Klärschlamm abgeben und nutzen so die aufgewendete Energie optimal.
Nachteil der Luft
Das gilt eher für Sauerstoff-Bläschen, die meist aus den mäandernden Schläuchen in industriellen Belebtschlamm-Becken blubbern. Für die in vielen kommunalen Anlagen verwendete normale Luft sieht die Energiebilanz dagegen viel schlechter aus.
Aus den Luftbläschen diffundiert praktisch ja nur der Sauerstoff, nicht der Stickstoff,
erklärt Markus Meier. Da Luft aber zu rund 78 Prozent aus Stickstoff besteht, werden die Bläschen kaum kleiner und haben an der Oberfläche nur einen Bruchteil des enthaltenen Sauerstoffs abgegeben. Die Mikroorganismen im Belebtschlamm können ihren Appetit daher mit reinem Sauerstoff viel besser stillen.
Diesen Sauerstoff wiederum können Firmen wie Air Liquide zentral herstellen und dann an Klärwerke verkaufen.
In Zukunft wollen wir Elektrolyse-Anlagen anbieten, die Wasserstoff und Sauerstoff vor Ort produzieren,
schildert Markus Meier weitergehende Überlegungen für eine günstige Doppelverwendung. Diese Anlagen spalten mit grünem Strom Wasser und erzeugen so Wasserstoff, mit dem eine Kommune dann zum Beispiel ihre Flotte von Stadtbussen und Müllfahrzeugen betreiben kann. Der zusätzlich entstehende Sauerstoff wurde bisher als Abfall einfach in die Luft abgegeben – zukünftig könnte er zum Belüften von kommunalen Kläranlagen verwendet werden. Werden solche Anlagen auch noch dank einfacher, im Computer aktuell berechneter Strömungsmodelle gesteuert, kann der gesamte Prozess laufend optimiert werden. So will das CLEWATEC-Team mit Hilfe solcher seit vielen Jahren am HZDR-Institut für Fluiddynamik optimierten, sehr komplizierten Strömungsmodelle zukünftig Kläranlagen vorausschauend steuern und dabei auch äußere Einflüsse wie das Wetter und die Energiepreise berücksichtigen. Auf diese Weise erhalten dann Klärwerke mit möglichst wenig Energie sauberes Wasser.
Text: Roland Knauer / Fotos: Tobias Ritz Publikationen: R. Herrmann-Heber et al.: Experimental oxygen mass transfer study of micro-perforated diffusers. Energies, 2021 (DOI: 10.3390/en14217268) G. Skouteris et al.: Energy flexibility chances for the wastewater treatment plant of the benchmark simulation model 1. Processes, 2021 (DOI: 10.3390/pr9101854) R. Herrmann-Heber et al.: Dynamic aeration for improved oxygen mass transfer in the wastewater treatment process. Chemical Engineering Journal, 2020 (DOI: 10.1016/j.cej.2019.122068)